Neuer Ansatz des EU-Gerichtshofs zur Fusionskontrolle könnte grünes Licht für steigende Zahl an M&A-Transaktionen geben

Am 28. Mai 2020 erklärte das Gericht der Europäischen Union das von der Kommission ausgesprochene Verbot einer geplanten Fusion zweier Telekommunikationsunternehmen, Telefónica UK und ihres Mitbewerbers unter den Netzbetreibern, Hutchison 3G UK, für unwirksam. Es wird erwartet, dass das Urteil erhebliche Auswirkungen auf M&A-Deals in der EU haben wird. Die Auswirkungen des Urteils gehen dabei über den Telekommunikationssektor hinaus. So wird erwartet, dass sich hierdurch die bisherige, auf der Anwendung des Wettbewerbstests basierende Rechtsprechung der EU ändern wird. Dies könnte zu einem Anstieg der Zahl der genehmigten Transaktionen in den Mitgliedstaaten führen.

In Ungarn hatte die Fusionskontrolle in den letzten Jahren Auswirkungen auf die Hauptakteure des lokalen Telekommunikationssektors, wobei die meisten Übernahmeversuche verhindert wurden: Zu den jüngsten Fällen gehört die geplante Fusion von DIGI und Invitel, bei der 2018 Verfahren der Wettbewerbsbehörden eingeleitet wurden, die 2020 noch andauern. Der zuvor geplante Zusammenschluss zweier weiterer Telekommunikationsdienstleister, Telekom Nyrt und ViDaNet, wurde wegen möglicher behindernder Auswirkungen auf den Wettbewerb des lokalen Marktes bereits untersagt.

Mit der Neubewertung eines Schlüsselelements der europäischen Fusionskontrolle, dem SIEC-Test, muss jedoch auch die in der Fusionskontrolle angewandte Methode in Ungarn und allen übrigen EU-Mitgliedstaaten neu überdacht werden. Der Kreis verbotener Vereinbarungen könnte eingeschränkt werden, was die Kommission dazu verleiten könnte, Transaktionen zu gestatten, für die bislang regelmäßig rotes Licht gegeben worden wäre. Es wird jedoch erwartet, dass das langwierige Prüfverfahren und die strengen Beweisanforderungen die Verfahrenskosten im Zusammenhang mit geplanten Fusionen in die Höhe treiben werden.



Die Entscheidung dient als Wegweiser, wie der SIEC-Test – der erhebliche Behinderungen des wirksamen Wettbewerbs untersucht – korrekt auf Zusammenschlüsse anzuwenden ist, die in einem oligopolistischen Markt durchgeführt werden sollen. In der früheren Kontrollpraxis war die Kommission berechtigt, Zusammenschlüsse in einem oligopolistischen Markt zu untersagen, wenn die Transaktion den Wettbewerb in einer Weise erheblich behinderte, die einer Marktbeherrschung gleichkam, auch wenn die tatsächliche Marktbeherrschung weder festgestellt noch verstärkt wurde. In seiner Entscheidung stellte das Gericht klar, welche Auswirkungen als „erhebliche Behinderungen des wirksamen Marktwettbewerbs“ qualifiziert werden, die in ihrer Wirkung der Begründung einer marktbeherrschenden Stellung gleichkommen.

Die Überarbeitung der EU-Regulierungspraxis erfolgte im Zusammenhang mit einem Fusionskontrollverfahren, in dem die geplante Übernahme durch zwei Mobilfunknetzbetreiber im Vereinigten Königreich geprüft wurde. Die Kommission untersagte den 10-Milliarden-Euro-Deal zwischen Hutchison 3G UK und seinem Konkurrenten Telefónica UK, da davon ausgegangen wurde, dass der Zusammenschluss erhebliche behindernde Auswirkungen auf den Marktwettbewerb zwischen britischen Mobilfunknetzbetreibern haben würde. Im Rahmen der Fusionskontrolle untersuchte die Kommission, wie sich drei Gefahren auf den Fall beziehen und ob sich diese nachteilig auf den Markt auswirken:


1) Die Fusion hätte die Zahl von vier bedeutenden Wettbewerbern (auf dem oligopolistischen Markt) auf nur drei verringert – was wahrscheinlich zu einem Preisanstieg und einer Verringerung der Dienstleistungsqualität geführt hätte;

2) der Zusammenschluss hätte nicht nur den Wettbewerb zwischen den Netzbetreibern eingeschränkt, sondern auch die Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Netzen gestört, deren Teilnehmer (Vodafone UK, EE UK) weniger Anreize für Entwicklungen gehabt hätten;

3) die Fusion hätte die virtuellen Netzbetreiber einer geringeren Anzahl von Betreibern gegenübergestellt, wodurch sie in Verhandlungen in eine ungünstige Position gebracht worden wären (z.B. Virgin Media oder Tesco Mobile). Die Kommission lehnte schließlich alle Vorschläge zur Lösung oder Abschwächung der oben genannten Probleme als unzureichend ab. Es ist bekannt, dass die Kommission geplante Zusammenschlüsse in oligopolistischen Märkten regelmäßig verboten hat, wenn durch das Vorhaben einer von vier Konkurrenten ausgeschaltet worden wäre. Nach der bisherigen Praxis waren zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Marktwettbewerbs in oligopolistischen Märkten mindestens vier bedeutende Mitbewerber erforderlich. Sollte einer von vier Konkurrenten durch das geplante Geschäft ausgeschaltet werden, schien das Veto der Kommission unvermeidlich – bis jetzt.

Die Verordnung über die Fusionskontrolle (EG 139/2004) sollte ursprünglich einen strengeren Standard einführen, um mögliche Behinderungen des Marktwettbewerbs auszuschließen. Nach der bisherigen EU-Gesetzgebung war die Kommission nicht befugt, Zusammenschlüsse zu untersagen, bei denen das neu gegründete Unternehmen keine marktbeherrschende Stellung erlangen (oder verstärken) würde, selbst wenn die Transaktion den wirksamen Marktwettbewerb erheblich behindern würde.

Die früheren EU-Rechtsvorschriften – die sich nur auf die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung konzentrierten – waren ineffizient und lückenhaft, denn selbst wenn es gelang, koordinierte Wirkungen im Zusammenhang mit einer marktbeherrschenden Stellung (z. B. Preiserhöhung, Qualitätsminderung, Behinderung des Marktzutritts neuer Wettbewerber) aufzudecken, boten sie (insbesondere auf oligopolistischen Märkten) keinen Schutz gegen andere, nicht mit der Marktbeherrschung zusammenhängende nachteilige Auswirkungen: so genannte unilaterale Effekte (z. B. die Verringerung des Wettbewerbsdrucks auf andere Wettbewerber und die Beseitigung erheblichen Wettbewerbsdrucks zwischen den fusionierenden Parteien).

Eine genaue Interpretation zur Anwendung des SIEC-Tests wurde jedoch erst im Juni 2020 vorgelegt: Das Gericht der Europäischen Union erklärte erstmals, welche Auswirkungen als „erhebliche unilaterale Effekte“, die den Marktwettbewerb behindern, zu qualifizieren sind. Erhebliche einseitige Effekte sind demnach eine Kombination der beiden folgenden Elemente: 1) die Beseitigung erheblichen Wettbewerbsdrucks zwischen den fusionierenden Parteien und 2) die Verringerung des Wettbewerbsdrucks, der auf alle anderen Marktwettbewerber ausgeübt wird. Das Gericht erklärte, dass die Verringerung des Wettbewerbsdrucks gegenüber anderen Marktwettbewerbern für sich genommen nicht als einseitige Wirkung im Rahmen des SIEC-Tests angesehen werden könne. In diesem Fall könnten alle Zusammenschlüsse einfach verboten werden, da sie alle eine gewisse Verringerung des Wettbewerbsdrucks gegenüber anderen Wettbewerbern bewirkten. In Bezug auf die Unternehmen kam das Gericht zu dem Schluss, dass sie, selbst wenn sie in mehreren Segmenten des Telekommunikationsmarktes unmittelbare Konkurrenten seien, niemals Wettbewerbsbeschränkungen aufeinander ausgeübt hätten, die als erheblicher einzustufen wären als die Auswirkungen, die sie auf andere ihrer Konkurrenten ausübten. Infolgedessen könne in ihrem Fall nur die Verringerung des Wettbewerbsdrucks gegenüber anderen Wettbewerbern berücksichtigt werden, und da dieser Effekt allein die im SIEC-Test definierten Kriterien nicht vollständig erfülle, bestehe keine Veranlassung, die Transaktion zu verbieten. Im Zusammenhang mit der Untersuchung widerlegte das Gericht auch, dass der Zusammenschluss erhebliche Auswirkungen auf Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Netzen und auf virtuelle Dienstanbieter hätte, da Hutchison nur einen Anteil von 0 bis 5 % an den relevanten Märkten hält.

Zusätzlich zur Klärung der Anwendung des Tests hat das Gericht einen strengeren Maßstab für den Nachweis festgelegt, d.h. die im SIEC-Test untersuchten Faktoren müssen durch eine angemessene Datenmenge und eine umfassende Prüfung sowie durch eine direkte Auswirkung auf den Markt belegt werden. Daher ist in naher Zukunft damit zu rechnen, dass auch die Kosten des Prüfungsverfahrens steigen und sich die Dauer des Verfahrens verlängert. Sollte die Europäische Kommission, die bisher zu erkennen gegeben hat, dass sie die Analyse des Urteils für dringlich hält, mit dem Urteil des Gerichts nicht einverstanden sein, kann sie gegen das Urteil innerhalb von zwei Monaten ein Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof einlegen.


Autor: dr. Viktória Villányi

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